In dem von der Provisorischen Staatsregierung erlassenen Verbotsgesetz (VG) vom 8. Mai 1945 wurden alle nationalsozialistischen Organisationen (Partei, Wehrverbände usw.) aufgelöst und verboten, Strafbestimmungen gegen „Illegale“, „schwer belastete Nationalsozialisten“ und Förderer verfügt sowie Volksgerichte zur Aburteilung der NS-Verbrecher eingerichtet. Darüber hinaus mussten alle Personen, „die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) angehört haben“ (1), in „besondere Listen“ verzeichnet werden.

Die Registrierung der Nationalsozialisten in solche Listen wurde vor Ort, also auf Gemeindeebene durchgeführt. Eine Verordnung der Staatskanzlei vom 11. Juni 1945 konkretisierte dieses Vorhaben: Demnach hatten die Bürgermeister (Gemeindevorsteher) die Registrierung in ihren Gemeinden zu organisieren und durchzuführen. Für die Erfassung mussten Meldeblätter verwendet werden, die abschließend in alphabetisch-geordnete Listen zu übertragen waren. (2)

In den Jahren 1945 und 1946 wurden mehrere Änderungen und Ergänzungen zum Verbotsgesetz erlassen, bis dieses im Jahr 1947 durch das Nationalsozialistengesetz umfangreich novelliert wurde. Registrierungspflichtige Personen wurden nun in belastete und minderbelastete eingeteilt. Die Sühnepflicht brachte persönliche, berufliche, wirtschaftliche und politische Folgen mit sich. 170.000 Personen wurden – zum Teil nur vorübergehend – aus dem öffentlichen Dienst und privaten Unternehmen entlassen. Volksgerichte verhängten österreichweit 43 Todesurteile und Freiheitsstrafen im Ausmaß von insgesamt 30.000 Jahren über NS-Funktionäre in Leitungsfunktionen. (3)

Unmittelbar nach Kriegsende herrschte bei den politischen Kräften in Österreich sowie in größeren Teilen der Bevölkerung ein antifaschistischer Geist, wie zeitgenössische Kommentare vor allem hinsichtlich gerichtlicher Entscheidungen zeigen:

„Unsere zweite Republik […] leidet anscheinend seit ihrer Geburt an einer sehr ungesunden Temperamentlosigkeit. […] Die gelernten Österreicher merken das sehr wohl, vor allem, wenn sie aufmerksam und hellhörig, wie wir Sozialisten schon zu sein pflegen, den zahlreichen altbekannten „Demokraten von morgen“ von vornherein nicht recht trauen. Und dies meistens mit Recht, wie die verschiedenen in Zuschriften, Unterredungen und Debatten zutage tretenden Klagen und Anklagen beweisen. […] Das Wiener Volksgericht hat einige bemerkenswert milde Urteile gefällt. […] Solche Urteile, die sich in den letzten Tagen auffallend häufen, können niemals die Zustimmung des Volkes finden, in dessen Namen sie ausgesprochen werden.“ [4]

Eine längerfristige geistige Offensive in Form einer antifaschistisch-demokratischen Aufklärung blieb jedoch aus. Schon bald wurde die Auffassung von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus vertreten und die Mitverantwortung der Österreicher für das NS-Regime und dessen Verbrechen ausgeblendet. (5) Dies führte dazu, dass sich auch das Wesen der Entnazifizierung änderte und man von härteren Maßnahmen abging und einen konsensgeleitenden Umgang mit den registrierten Personen suchte.

Zudem war das politische System so konzipiert, dass Störversuche des öffentlichen Schweigens über die nationalsozialistische Vergangenheit ins Leere liefen. Angesichts der fragmentierten und von tiefen Konflikten geprägten Gesellschaft war das Prinzip der Konkordanzdemokratie (6) der kleinste gemeinsame Nenner – bis hinunter auf die lokalpolitische Ebene.

Vom Konkordanzprinzip wurde erwartet, die bisher bestandenen tiefreichenden Konflikte auszumerzen bzw. die Schwelle des Konfliktausbruchs höher legen zu können. Durch die Einbindung aller relevanten Kräfte in den Willensbildungs-, Entscheidungs- und schließlich auch Umsetzungsprozess bestärkte man in der Bevölkerung das kollektive „Wir-Gefühl“. (7)

Und nach den ersten Gehversuchen der Zweiten Republik konnte dieses Gefühl durch die Integration ehemaliger Nationalsozialisten in die beiden Großparteien noch zusätzlich verstärkt werden. Diese von ÖVP und SPÖ betriebene Verharmlosung war Teil jener Konfliktvermeidungspolitik, wie sie für die politische Kultur der Großen Koalition typisch war.

In der NS-Zeit verloren die Sozialdemokraten durch Vertreibung und Ermordung zahlreiche politische Eliten, was für sie zu Beginn der Zweiten Republik einen herben Verlust bedeutete. Ferner hatte die SPÖ-Führung nach 1945 darauf verzichtet, ihre vertriebenen Parteifunktionäre systematisch zurückzuholen. In der Folge wurden vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlich rückläufigen Entnazifizierung die Weichen in Richtung Öffnung gegenüber den ehemaligen Nationalsozialisten gestellt, um so vor allem im Westen Österreichs Parteieliten aufbauen zu können. Dies war für eine an sich antifaschistisch geprägte Partei kein leichtes Unterfangen. Die Folge waren zahllose Flügelkämpfe zwischen Gegnern und Befürwortern dieser Öffnung. (8)

„Es ist daher das Interesse der Sozialistischen Partei, sowohl für die öffentliche Wirtschaft wie für die Privatwirtschaft eine genügend große Anzahl verläßlicher Demokraten und Republikaner und womöglich gesinnungstreuer Sozialisten verfügbar zu haben. Gerade auf diesem Gebiete ist aber die Partei heute keineswegs günstig daran. Kann sie ihre Aufgaben anders erfüllen als durch die Vergrößerung des verfügbaren Menschenreservoirs? Es kann keinen Zweifel geben, daß die Partei unbedingt eine große Zahl von Intellektuellen, Wirtschaftsfachleuten, Managers, Technikern gewinnen muß;“ [9]

Im Zusammenhang mit der Konsolidierung der politischen Situation, die sich in der Nachkriegszeit herausgebildete, verschwanden die Diskurse spätestens ab den 1950er Jahren aus der Öffentlichkeit. Die Besatzungszeit, die als Fremdherrschaft wahrgenommen wurde und die Eskalation des Kalten Krieges (10) wirkten sich integrativ aus. Der Antikommunismus und das neue Feindbild Sowjetunion halfen zudem, die eigene tiefe Zerrissenheit ein Stück zu kitten. In zeitlicher Übereinstimmung mit dem Werben um die ehemaligen Nationalsozialisten ließ sich eine partielle Wende in der Geschichtspolitik feststellen, insbesondere was die Beurteilung des Widerstandes und des Kriegsdienstes in der deutschen Wehrmacht betraf. Von den politischen Parteien identifizierte sich die KPÖ am weitestgehenden mit dem Widerstandskampf. Der bereits angesprochene Antikommunismus des Kalten Krieges, damit verbunden die Ausgrenzung der KPÖ, und die Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten in die österreichische Gesellschaft trugen maßgeblich zu einer Distanzierung vom Widerstand bei. (11)

Aber wie konnte es so weit kommen? Nur wenige Jahre zuvor waren die Versprechungen noch ganz andere: „Die Nazifaschisten müssen restlos hinaus aus Verwaltung und Wirtschaft. Die Ausmerzung ihres Einflusses werden wir als eine unserer Hauptaufgaben ansehen“ (12), meinte etwa der niederösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Otto Mödlagl bei einer Bürgermeistertagung in Eisenstadt. Zeitungen berichteten von den Schrecken der Konzentrationslager und veröffentlichten literarische Anklageschriften von Thomas Mann und weiteren namhaften Autorinnen und Autoren. Eine konsequente Entnazifizierung wurde als einzige Möglichkeit gesehen, um Österreich wieder in die Staatengemeinschaft eingliedern zu können:

„Strenge und gerechte Bestrafung aller faschistischen Verbrecher, entschlossene Säuberung des öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens vom Nazigift ist nicht nur die wichtigste Voraussetzung für die politische Gesundung Österreichs, sondern auch für die rasche Belebung der österreichischen Wirtschaft. Es ist der beste, sicherste und der einzig mögliche Weg, um die österreichische Republik in die Gemeinschaft der freiheitsliebenden Völker zurückzuführen.“ (13)

Diesen gutgemeinten Vorsätzen und Absichten standen jedoch zahlreiche Herausforderungen und Probleme gegenüber, wie sich bereits zu Beginn beim Verbotsgesetz zeigen sollte.

Quellen:

(1) Vgl. StGBl Nr. 13/1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), herausgegeben am 8. Mai 1945.
(2) Vgl. StGBl Nr. 18/1945 über die Registrierung der Nationalsozialisten (2. NS-Registr.-Vdg.), herausgegeben am 2. Juli 1945.
(3) Vgl. Neugebauer, Wolfgang (2000). Referat anlässlich der Enquete "Rassismus und Vergangenheitsbewältigung in Südafrika und Österreich – ein Vergleich?" im österreichischen Parlament, Wien, 31. Mai 2000.
(4) Informationsdienst der Sozialistischen Partei Österreichs (1945). Muß das so sein? fragt der unbekannte Genosse, Ausgabe Nummer 25 vom 12. Dezember 1945, S. 3.
(5) Vgl. Neugebauer, Wolfgang (2000). Referat anlässlich der Enquete "Rassismus und Vergangenheitsbewältigung in Südafrika und Österreich – ein Vergleich?" im österreichischen Parlament, Wien, 31. Mai 2000.
(6) Der Terminus „Konkordanzdemokratie“ zeichnet sich, im Unterschied zum Typus der „Konkurrenzdemokratie“ oder „Mehrheitsdemokratie“, dadurch aus, dass hier das Mehrheitsprinzip nicht als zentraler Entscheidungsmechanismus dient. Vielmehr werden Minderheiten an den Entscheidungsprozessen beteiligt mit Hilfe von Kompromisstechniken, die an die Entscheidungsmaxime des „gütlichen Einvernehmens“ aus den deutschen und schweizerischen Religionsfriedensschlüssen des 17. und 18. Jahrhunderts erinnern. Zu diesen Kompromisstechniken gehört vielfach die Beteiligung aller wichtigen Minderheitsgruppen (Parteien) an der Regierung, also eine Große oder Allparteien-Koalition bei der Regierungsbildung. Beschlüsse werden – zumindest wenn sie vitale Interessen einer der beteiligten Gruppen berühren – nach Möglichkeit einmütig gefasst. Vgl. dazu Lehmbruch, Gerhard (1983). Konkordanzdemokratie, in: Nohlen, Dieter/Schmidt, Manfred (Hg.): Pipers Wörterbuch zur Politik 2. Westliche Industriegesellschaften. Wirtschaft – Gesellschaft – Politik, München/Zürich, S. 198–202.
(7) Vgl. Dachs, Herbert (1995). Der Regierungsproporz in Österreichs Bundesländern - ein Anachronismus?, in: Khol, Andreas/Ofner, Günther/ Stirnemann, Alfred (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1994, Wien, S. 623–637.
(8) Vgl. Schwarz, Peter (2004). Die Rolle des Bundes Sozialistischer Akademiker (BSA) bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, Vortrag in Salzburg, 19. April 2004.
(9) Informationsdienst der Sozialistischen Partei Österreichs (1946). Aus der Bewegung. Die Partei muß werben, Ausgabe Nummer 36 vom 1. Mai 1946, S. 2.
(10) Vgl. dazu Knight, Robert Graham (1986). "Kalter Krieg", "Entnazifizierung und Österreich", in: Meissl, Sebastian et.al. (Hg.): Verdrängte Schuld - Verfehlte Sühne: Entnazifizierung in Österreich 1945–1955, Wien, S. 37–51; Wieland, Günther (1998). Verfolgung von NS-Verbrechen und Kalter Krieg, in: Garscha, Winfried R./ Kuretsidis-Haider, Claudia (Hg.): Keine "Abrechnung". NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945, Leipzig-Wien, S. 185–203.
(11) Vgl. Uhl, Heidemarie (2001). Das „erste Opfer". Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der Zweiten Republik, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2001/1, S. 24.
(12) Neues Österreich (1945). Burgenlands Bekenntnis zu Österreich. Schluß mit dem Nazifaschismus, 29. Mai 1945, S. 1 (ANNO/Österreichische Nationalbibliothek).
(13) Salzburger Nachrichten (1945). Gericht über die Kriegsverbrecher, 12. Juni 1945, S. 1 (ANNO/Österreichische Nationalbibliothek).