Alfred Migsch // Der Weg zum Wiederaufbau und zur Freiheit Österreichs

Veröffentlicht in: Literatur | 0

Auszug aus der Rede des Nationalrates Dr. Alfred Migsch (Überlebender des KZ Mauthausen) auf der 2. Konferenz der sozialistischen Betriebsfunktionäre Wiens am 15. Mai 1946

Da haben wir zunächst die Nazifrage. Ist es nicht so, dass dieses Problem längst in einem, den Notwendigkeiten unseres Landes und den Geboten der Sicherheit entsprechend gelöst wäre, wenn wir Herren in unserem eigenen Lande wären? Hat nicht die Zoneneinteilung Schlupfparadiese für jene Kriegsverbrecher und Faschisten geschaffen, welche wir vor das Volksgericht zu bringen entschlossen sind?

Herrscht nicht bei den von den einzelnen Militärregierungen gehandhabten Entnazifizierungsaktionen eine so grundverschiedene Praxis, dass gerade das Gegenteil dessen erzielt wird, was erforderlich wäre? Wir haben nicht einen, sondern hunderte Beweise dafür!

Man komme uns nicht mit der Dummheit, zu behaupten, dass das österreichische Volk noch nazifreundlich oder faschistisch verseucht sei? Solche Behauptungen sind nur das Werk von böswilligen Denunzianten, die damit ihre schäbigen Ziele verfolgen. Ich weiß nur eines und dieses Wissen wird durch die geschichtlichen Tatsachen bewiesen:

Die österreichische Arbeiterschaft kennt den Faschismus besser als irgendeine andere Klasse oder irgendein anderes Volk auf der ganzen Welt. Wir haben darin Erfahrungen gesammelt, wie sie ansonst kein anderes Volk besitzt! Wir standen 14 Jahre lang – ein Fels mitten in dem Herandämmern der Reaktion – im unmittelbarsten Kampfe gegen ihn. Wir österreichischen Sozialisten sind in der vordersten Front gegen die ungarische Reaktion gestanden, wir haben am schärfsten den Faschismus in Italien bekämpft und haben die erste Welle des Nazismus in den Jahren 1922/23 in Österreich niedergerungen. Wir konnten auch jahrelang den Austrofaschismus in Schach halten. Und dies alles zu einer Zeit, wo beinahe in allen bürgerlichen Staaten sehr einflussreiche Kräfte mit den Faschisten liebäugelten!

Oder hatte nicht England seinen Chamberlain, der nach München fuhr? Besaß nicht Frankreich seinen Laval, der der Völkerbundaktion gegen Mussolinis frechen Friedensbruch in der Abessinischen Frage in den Rücken fiel? Hatte nicht die Tschechoslowakei ihre Hácha’s? Hatte nicht Jugoslawien seinen Stojadinowits und viele andere Staaten ihre Quislinge?

Als weithin sichtbare und eherne geschichtliche Tatsache steht fest: Die österreichischen Sozialisten haben nie mit den Faschisten Kompromisse geschlossen oder sich gebeugt! Als einsamer Fels mitten in dem Meer der faschistischen Reaktion, von aller Welt allein gelassen, sind wir als einzige mit Waffengewalt aufgestanden und sind erst unterlegen, als der Austrofaschismus von so mächtigen Staaten, wie es damals Italien und seine Verbündeten waren, großgezogen worden war! Aber selbst dann – besiegt und zertreten – haben wir den Kampf weitergeführt!

Wenn nunmehr Siebengescheite auftreten und sagen, das österreichische Volk hätte zu wenig für seine eigene Befreiung getan, so will ich einmal diesen Menschen antworten: Aus dem sicheren Gewahrsam der freien, demokratischen Welt sprechen sich solche Worte sehr leicht! Warum kam er nicht in jener Zeit zu uns, um uns zu zeigen, wie wir mehr hätten leisten können? War es nicht so, dass der Hitlerterror in Österreich seinen stärksten Apparat – von allen Ländern einschließlich Deutschlands und Himmler wusste genau, warum er das tat! – aufgebaut hatte? Und sind nicht trotzdem in den Tagen der Stalingrader Schlacht mehr als 800 bepackte Militärlastwagen und zahlreiche Tanks, die für den Einsatz in dieser Schlacht bestimmt waren, in Floridsdorf in Flammen aufgegangen? Ist nicht eine politische Welle nach der anderen über unser Land gegangen? Weist die Arbeiterschaft nicht tausende Blutzeugen ihres Widerstandswillens auf?

Nein – wir brauchen keine Belehrungen, wie man den Faschismus bekämpft! Es ist vielmehr so, dass in dieser Frage die ganze Welt zu uns in die Schule gehen kann!

Wir österreichischen Sozialisten fürchten uns nicht vor dem Faschismus und wissen, dass wir jederzeit seiner Herr werden, wenn man uns nicht in den Rücken fällt!

Quelle:
Broschüre der Sozialistischen Partei Österreichs, 1945, S. 7-8.